Der Blick in die Vergangenheit für die Zukunft des E-Commerce

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Um sinnvolle Konzepte im Onlinehandel auf die Beine zu stellen, muss man in erster Linie die Käuferinnen und Käufer verstehen. Denn auch, wenn viele selbst ernannte E-Com Gurus „schnell und hektisch reich“-Konzepte via Droppshipping, TikTok Shop oder Plattformverkauf propagieren, funktioniert SUHR (schnell und hektisch reich) im Onlinehandel genauso wenig, wie irgendwo sonst.

Was sind die Hauptgründe fürs Onlineshoppen?

Fangen wir an mit dem, was Kunden/Kundinnen erwarten bzw. warum sie online einkaufen.

Verfügbarkeit von Waren

Manche Produkte kann man „vor Ort“ und lokal heute gar nicht mehr bekommen. Spezialgeschäfte in den Städten werden weniger, so dass man entweder sehr weite Wege in Kauf nehmen muss oder auf manche Produkte einfach verzichten müsste. Dazu kommen die eingeschränkten Öffnungszeiten im stationären Handel. Diese passen oft einfach nicht mehr in die Lebens- und Arbeitsrealität vieler. Wenn beispielsweise die Geschäfte in der Innenstadt um 19 Uhr schließen, wird das für Arbeitnehmer*innen, die auf dem Land wohnen, bereits mit einem „normalen“ Bürojob zur Herausforderung.  Rund 80 % der Berufstätigen sehen hier einen großen Vorteil beim Onlinekauf.

Zeitersparnis und Bequemlichkeit

Für mich persönlich bedeutet „in die Stadt fahren“ rund 45 Minuten Fahrtweg mit dem Auto hin, Parkplatzsuche, das Hoffen, das gewünschte Produkt zu bekommen, 45 Fahrtweg mit dem Auto zurück. Nein, hier auf dem Land wäre ÖPNV keine Alternative, dann würde das Ganze zum Tagesausflug werden. Und ich bin da nicht allein. Knapp 70 % der Deutschen schätzen die Zeitersparnis. Etwas mehr sogar die Bequemlichkeit der Lieferung nach Hause. Jetzt könnte man natürlich über die Faulheit der Käufer schwadronieren, allerdings hat die Lieferung auch ökologisch durchaus Sinn. Würden ich und all meine Nachbarn nämlich ständig „in die Stadt“ fahren, während deutlich mehr Autos unterwegs, als Lieferfahrzeuge. In Städten wiederum sieht das ganze freilich anders aus.

Produktauswahl, Angebote und Information

Wie oben erwähnt: Manche Produkte gibt es nicht im unmittelbaren Umfeld lokal zu kaufen – oder vielleicht nur in einer Variante, die für einen selbst gänzlich uninteressant ist. Hier hat das Internet eben klar die Nase vor. Teste es mal selbst. Wie viele Produkte bekommst du zum Beispiel in einem einzigen Shop angezeigt, wenn du nach einem bestimmten Begriff suchst. Ich zeige das immer gerne am Beispiel von MediaMarkt und Saturn. Tipp mal Smart TV ein und filtere dann so lange, bis zu tatsächlich nur noch Fernsehgeräte angezeigt bekommst. Es sind über 1000. Und dann frag dich: In welchem Elektromarkt hast du schon mal 1000 verschiedene TV-Geräte präsentiert bekommen?

Auch die Informationen, die die Kunden sich selbst erarbeiten können, sind online sehr viel umfangreicher. Das kann Fluch, aber auch Segen sein. Gar keine Frage. Doch viele wissen die Transparenz und Vergleichbarkeit zu schätzen.

Bliebe die Frage: Was hat das mit der Vergangenheit zu tun?

Es ist sehr einfach:

Aaron Montgomery Ward, der als Erfinder des Mailorder-Versands (und damit Fernabsatz und dem Vorläufer des Kataloghandels und E-Commerce) gilt, hat genau die oben beschrieben Kundenbedürfnisse erkannt und ein vollkommen neues Geschäftsmodell daraus entwickelt. Als Handelsreisender hörte er in den abgelegenen, ländlichen Gegenden in den USA immer wieder: Wir haben keine Gelegenheit bestimmt Dinge zu kaufen (weil Wege viel zu lang waren) und du kommst viel zu selten, um uns die Waren zu bringen. Also brachte er sie auf dem Postweg zu den Menschen.

Die Gründe für das Onlineshopping unterscheiden sich nur sehr unwesentlich von denen, die Ward 1872 in seine Geschäftsidee einfließen ließ. Ja. Achtzehnhundertzweiundsiebzig.

Die Geschichte des Handels zeigt: Diejenigen, die Kundenbedürfnisse erkennen und bedienen, sind diejenigen, die Erfolg haben. Wer sich auf „guten Produkten“ oder „Tradition“ ausruht, verliert. Fragt mal die Investoren, die den Zappos-Gründern sagten, dass sie ihnen kein Geld geben, weil „niemand Schuhe kaufen wird, die er vorher nicht anprobiert hat“, was die dazu meinen. Es ist natürlich ein verständlicher Impuls, eine solche Aussage zu treffen, denn ja – Schuhe muss man eben auch anprobieren. Aber: Hätte man mal nach Deutschland ins Jahr 1950 geblickt, hätte man ein kleines, feines Handelsunternehmen sehen können, das seinen ersten Katalog unter die Menschen brachte. In der gigantischen Auflage von 300 Stück brachte OTTO seinen ersten Katalog auf den Markt. Und was wurde darin präsentiert? Schuhe. Schuhe, die niemand „vorher anprobieren konnte“ waren der erste Schritt dazu, ein mächtiger Konzern und heute auch Big Player im E-Commerce zu werden.

Solche Geschichten gibt es zu Hauf (ein paar mehr stehen übrigens im Buch 😊).

Es ist also dumm und fahrlässig, immer nur den neusten Trend hinterher zu hecheln. Manchmal lohnt sich das innehalten und die Rückschau: Was wollen die Menschen? Was hat früher schon funktioniert.

Oder glaubt wirklich jemand, die Supermarktketten hätten sich ihre Lieferdienste für den Wocheneinkauf bei Start-ups abgeschaut? Meine Oma hat schon in den 70er beim lokalen Supermarkt Bestellungen aufgegeben und sie nach Feierabend heimgebracht bekommen…

Nadine Huss

Nadine ist die Autorin des Buchs "E-Commerce-Manager*in", Dozentin und Beraterin.

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